Unter­do­kumentation statt Unter­finanzierung

Unterdokumentation statt Unterfinanzierung

Schreibt eine Klinik tiefrote Zahlen, wird nicht nur fieberhaft nach Lösungen, sondern auch nach Erklärungen gesucht.

Denn muss man Trägern, Aufsichtsräten, den Medien,Bürgerinnen und Bürgern vermitteln, dass das örtliche Krankenhaus ums Überleben kämpft, sind alle Ursachen hilfreich, die außerhalb der Verantwortung der Gesch.ftsführung liegen. Gern spricht man dann – etwas schwammig – von den schwierigen  esundheitspolitischen Rahmenbedingungen.

Und nutzt den Sündenbock, der immer taugt: Die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG). Es gibt sicher Dinge, die man am DRG-System hinterfragen und verbessern könnte. Dass die Fallpauschalen aber generell nicht kostendeckend sind, kann man so nicht behaupten. Am Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) in Siegburg gibt man sich viel Mühe, medizinische Leistungserbringung sachgerecht abzubilden. Betrachtet man dann aber, wie in den Kliniken das Leistungsgeschehen dokumentiert wird, ist das oft völlig absurd. 70Prozent der in den Maximalversorgern behandelten Patientinnen und Patienten über 65 haben, laut der Leistungsdokumentation, keine oder leichte Begleiterkrankungen oder Komplikationen – auch nicht in sehr hohem Lebensalter. Trotz eines Schweregrads von 0 und 1 liegen sie im Schnitt aber länger als sieben Tage im Krankenhaus.Mit der Realität hat das nichts zu tun, denn natürlich behandelt niemand kerngesunde Menschen. 

Das Paradoxon liegt allein an der Dokumentation und Kodierung, die die so wichtigen Nebendiagnosen oftmals nicht berücksichtigen. Gerade in Bezug auf die Verweildauer ist der Druck, den man auf den Stationen zu spüren glaubt, daher oft selbstgemacht. Insbesondere ältere Patientinnen und Patiente haben häufig einige Nebenerkrankungen und brauchen länger, um die Klinik wieder verlassen zu können. Wird das richtig kodiert, sind diese Kosten im DRG-System auch gedeckt.

Wir haben in Deutschland keine Unterfinanzierung – sondern eine Unterdokumentation. 

Und der Fehler liegt im System: Durch den Einsatz von Kodierfachkräften haben wir die Dokumentation von der Leistungserbringung getrennt. Das sollte eigentlich zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte beitragen, hat aber vor allem dazu geführt, dass Detailwissen über Patienten auf diesemWeg verloren geht. Denn niemand kann so lückenlos alles zu Papier bringen, dass man – allein nach Aktenlage– richtig kodieren kann. Wie so oft imLeben hilft: miteinander reden. Bringt man Ärzte, Kodier- und Pflegekräfte und je nach Fall z. B. auch Hebammen oder Mitarbeitende des Sozialdienstes wieder an einen Tisch, steigt der CaseMix IndexunddieErlöse wachsen. Der Aufwand hält sich, wenn man sich regelmäßig austauscht, in Grenzen. Im Idealfall trifft man sich zwei Mal pro Woche und geht gemeinsam die Fälle durch. Bevor man damit startet, sollte, im RahmenvonSchulungen, das notwendige Fallpauschalen-Wissen vermittelt werden. Denn das ist bisher kein Bestandteil der medizinischen oder pflegerischen Ausbildung.

Sind die Hausaufgaben gemacht, klappt es auch mit dem Case Mix Index. Steigerungen von bis zu 15 Prozent sind in wenigen Monaten möglich. Dashat eine vonunsbetreuteKlinik kürzlich eindrucksvoll bewiesen. Das Gute dabei: Wer die Erlöse steigert, muss weniger einsparen. So erfreut man Mitarbeitende, Träger, Aufsichtsräte und die Medien gleichermaßen. Der Sündenbock DRG hat dann endlich einmal Feierabend.